Fliegende Blätter aus dem Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg

Titelblatt

Fliegende Blätter aus dem Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg 1. 1844/45 – 62. 1905
Die Innere Mission im evangelischen Deutschland
N.F. 1 = 63. 1906 – N.F 15 = 77. 1921; 16. 1921 – 26. 1931
Die Innere Mission 27. 1932 – 36. 1941

mit den Beilagen:
Das Beiblatt der fliegenden Blätter aus dem Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg. 1. 1850 – 33. 1882; Geschichten und Bilder zur Förderung der inneren Mission. 34. 1883 – 57. 1906; Geschichten und Bilder aus der christlichen Liebestätigkeit. 58. 1907 – 71. 1920; Die Rundschau. 1. 1930 – 12. 1941

(Freie Wohlfahrtspflege; 1)

ca. 55.000 Seiten auf 653 Mikrofiches
2004, ISBN 3-89131-451-5

Diazo negativ: EUR 2.900,– (ohne Mwst.) / EUR 3.451,– (inkl. Mwst.)
Silber negativ: EUR 3.480,– (ohne Mwst.) / EUR 4.141,20 (inkl. Mwst.)

Die Anfänge der organisierten Wohlfahrtspflege in Deutschland reichen in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Ein wesentlicher Teil davon ist in der vorliegenden Zeitschrift dokumentiert.

Dem Hamburger Theologen Johann Hinrich Wichern, der seit 1833 das Rauhe Haus, ein Rettungshaus für verwaiste und verwahrloste Kinder, leitete, gelang es im Revolutionsjahr 1848, die bis dahin vereinzelten Vereine und Werke der »evangelischen Liebestätigkeit« zu einer großen Bewegung zusammenzuschließen, an deren Spitze der neu gegründete Central-Ausschuß für Innere Mission stand. Wicherns Bemühen, den vielerorts entstehenden sozialen und missionarischen Initiativen des protestantischen Bürgertums unter dem Begriff der »Inneren Mission« ein gemeinsames Programm zu geben, setzte bereits in den dreißiger Jahren ein. Aber erst die Gründung einer eigenen Druckerei, aus der sich 1844 der Verlag Agentur des Rauhen Hauses entwickelte, gab ihm die nötigen Mittel dazu.

Die seit Juli 1845 erscheinenden Fliegenden Blätter wollten von vornherein mehr sein als ein bloßes Mitteilungsblatt einer einzelnen Anstalt. Sie verstanden sich, wie es im Titel der ersten drei Jahrgänge hieß, »als offener Brief aus dem Rauhen Hause«, der durch »Mitteilungen über alle dem Gebiet der innern Mission angehörenden Bestrebungen ... zur Hebung der Notstände innerhalb der Christenheit« die innere Verbundenheit und die Kooperation der Beteiligten im gesamten Raum des deutschsprachigen Protestantismus fördern wollte. Diesem Ziel der Bewußtseinsbildung diente auch die Aufnahme von Grundsatzartikeln zu den sozialen Fragen der Zeit. Sehr schnell erlangten die Fliegenden Blätter den Charakter einer allgemeinen Zeitschrift der Inneren Mission, und so war es nur konsequent, daß sie seit 1849 als Organ des Central-Ausschusses für Innere Mission firmierten.

Die Ziele der Zeitschrift bestimmten auch ihre Inhalte: Anders als in der politischen Presse sollten Not und Elend der Hilfebedürftigen in der Gesellschaft deutlich beschrieben werden. Diese Not verstanden die Protagonisten der Inneren Mission als eine zugleich materielle und geistliche Not, so daß Berichte über Wohnungselend, Verbreitung von Krankheiten und wirtschaftliche Ausbeutung gleichwertig neben Artikeln über sittliche Verwahrlosung und mangelnde geistliche Versorgung stehen. Dabei werden die Defizite unter den Gebildeten ausdrücklich einbezogen. Da sich die Innere Mission als christliche Tat im christlichen Staat und in der christlichen Kirche verstand, spiegeln die Beiträge immer auch die politische Bedeutung der Sozialarbeit. So werden die Fliegenden Blätter zum Forum der Auseinandersetzung mit antikirchlichen sozialen Kräften, die allerdings nicht nur blind bekämpft, sondern auch in ihren sozialen Anliegen beschrieben werden. Ein weiterer Themenbereich, vor allem in den Anfangsjahrzehnten, ist die Stellung der Inneren Mission zur Amtskirche, die das christliche Engagement von Nicht-Theologen vielfach argwöhnisch betrachtete.

Die Qualität der Zeitschrift ist geprägt von Wicherns journalistischem Geschick; nicht umsonst gilt er als Pionier der evangelischen Publizistik. Seine besondere Kunst bestand darin, wie er es nannte, »mit Tatsachen zu reden«. Wie seine Vorträge und Schriften sind auch die Fliegenden Blätter voll von einer Vielzahl von Tatsachen, Namen und Orten, die für sich von hohem informativen Wert sind und zusammen ein Mosaik der evangelischen Missions- und Wohlfahrtsarbeit ergeben. Es ist diese überwältigende Anhäufung von Material, die der Zeitschrift eine überragende Bedeutung für die Kenntnis und das Verständnis der Sozialarbeit der evangelischen Kirchen verleiht. Das macht die Fliegenden Blätter zu einer maßgeblichen Quelle für die deutsche Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Den tatsachenorientierten Charakter der Zeitschrift wollte Wichern auf keinen Fall durch fromme Betrachtungen verwässert wissen und stellte daher schon in seinem Vorwort von 1844 fest: »Der Zweck der Erbauung im gewöhnlichen Sinn ist gänzlich ausgeschlossen.« Um solchen religiösen Bedürfnissen der Leserschaft zu entsprechen, wurde den Fliegenden Blättern ab 1850 ein Beiblatt mit dem Untertitel »Volksblatt der inneren Mission« angefügt, das neben erbaulichen Texten zusätzliche Informationen enthält und ebenfalls Teil dieser Edition ist.

Eine erste Zäsur in der Entwicklung der Zeitschrift stellt das Jahr 1877 dar, in dem die Herausgeberschaft auf Wicherns engsten Mitarbeiter Friedrich Oldenberg übergeht, der schon seit den 1850er Jahren an der Redaktion beteiligt war; Wichern selbst wird noch bis zu seinem Tod 1881 als Mitherausgeber an erster Stelle genannt. Zu dieser Zeit tritt die Innere Mission in die Phase ihrer Ausbreitung und Konsolidierung, was auch in der Zeitschrift zum Ausdruck kommt. Mit der Entstehung regionaler Blätter und der überregionalen (ebenfalls in dieser Reihe edierten) Monatsschrift für Innere Mission verlieren die Fliegenden Blätter ihre bisherige Einzelstellung. Die in der Ära Wichern/Oldenberg erschienenen Jahrgänge 1844 – 1890 sind durch ein vorzügliches Generalregister erschlossen. Von 1891 an zeichnet der Leiter des Diakonissenhauses in Frankfurt/Oder, Paul Lindner, als Hauptherausgeber.

Inzwischen war das Gebiet der Inneren Mission so weitläufig und vielfältig, daß Nachrichten über einzelne Anstalten und Initiativen immer weniger Sinn machten. Auch der Titel der Zeitschrift war einer breiten Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln, so daß zur Jahrhundertwende eine grundlegende Änderung anstand. Mit der Übernahme der Herausgeberschaft durch den Geschäftsführer des Central-Ausschusses Wilhelm Scheffen erschien die Zeitschrift seit 1906 mit neuer Zählung unter dem neuen Namen Die Innere Mission im evangelischen Deutschland. Nun herrschten Grundsatzartikel und zusammenfassende Berichte aus den Arbeitsgebieten der Diakonie vor. Bis zum 1. Weltkrieg erschien eine verwirrend große Zahl von regionalen Sonderausgaben, die sich im hinteren Teil von der Hauptausgabe unterschieden. Damit sollte der Gründung weiterer selbständiger Regionalzeitschriften der Inneren Mission vorgebeugt werden. Der Erfolg dieser Strategie zeigte sich in der hohen Auflage: Vor Kriegsbeginn hatte die Innere Mission über 4.000 Abonnenten.

Die Zeit der Weimarer Republik war von einem raschen und grundlegenden Wechsel der deutschen Wohlfahrtspolitik gekennzeichnet; das findet auch in der Zeitschrift seinen Niederschlag. Aus dem Central-Ausschuß wird ein Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege, dessen Organ weiterhin die Innere Mission ist. Der Verlag ist nun nicht mehr die Agentur des Rauhen Hauses, sondern der im Besitz des Central-Ausschusses befindliche Wichernverlag in Berlin. Die materiellen Engpässe der Inflationszeit und die dynamische Entwicklung beim Leitungspersonal führen zu einem uneinheitlichen Erscheinungsbild unter wechselnden Herausgebern. Die Beiträge zeugen von der neuen tragenden Rolle der konfessionellen Verbände im dualen System der Wohlfahrtspflege. Das Bewußtsein von der mitgestaltenden Funktion der Inneren Mission hält – unter anderen politischen Vorzeichen – auch nach 1933 an: In Grundsatzartikeln wird die Notwendigkeit autoritärer Fürsorge-Strukturen und die positive Bedeutung eugenischer Maßnahmen hervorgehoben. Als Mitte der dreißiger Jahre die nationalsozialistische Politik der »Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens« greift, ist die Kontrolle des gedruckten Wortes schon so weit fortgeschritten, dass die Innere Mission nicht mehr zur Publikation eines eigenen konfessionellen Standpunkts verwendet werden kann. Wie fast alle kirchlichen Periodika wird die Zeitschrift im Sommer 1941 eingestellt. Sie erscheint erst wieder im Jahr 1947 und wird im Jahr 1975 von der Zeitschrift Diakonie abgelöst.