Der Türmer
Berlin, 1.1898/99 – 45.1942/43
Monatsschrift für Gemüt und Geist
(Kultur – Literatur – Politik ; 21)
54.000 Seiten auf ca. 743 Mikrofiches
2006, ISBN 3-89131-475-2
Diazo negativ: EUR 3.300,–
(ohne Mwst.)
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EUR 3.927,–
(inkl. Mwst.)
Silber negativ: EUR 3.960,–
(ohne Mwst.)
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EUR 4.712,40
(inkl. Mwst.)
»Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt«: Dieses geflügelte Wort des Türmers Lynkeus in Goethes Faust II trug die monatliche Kulturzeitschrift »für Gemüt und Geist« über 30 Jahre lang als Motto im Titelkopf. Es markierte ihren Anspruch, von erhöhter Warte aus die Zeitläufe nicht nur oberflächlich zu »sehen«, sondern deren tiefere Zusammenhänge zu »schauen«. Der Blickwinkel des Türmers war von Anfang an deutsch-protestantisch, so wie der seines Gründungsherausgebers, des Schriftstellers Jeannot Emil von Grotthuß. Der baltische Freiherr sah Deutschland als »Herz der Menschheit« an, erblickte aber in seiner Kultur Zerfallserscheinungen, auf die er aufmerksam machen wollte: »kleinliche Klassen- und Kasteninteressen« etwa, den Materialismus in imperialistischer wie in sozialistischer Ausprägung, sowie – als künstlerischen Ausdruck des letzteren – den Naturalismus.
Diesen Tendenzen setzte der Türmer einen Kulturbegriff entgegen, der der aufkommenden Heimatkunstbewegung nahestand. Jedes Heft eröffneten mehrere teils literarische, teils essayistische Texte, auf die dann Rubriken folgten; die »Rundschau« mit Kurzberichten aus Wissenschaft, Kunst, und Technik, »Türmers Tagebuch« zu politischen und kulturellen Tagesfragen, das Feuilleton mit Essays und Rezensionen aus den Abteilungen »Literatur«, »Bildende Kunst« und »Musik«. Als Beilagen gab es Notenblätter und Kunstdrucke.
Grotthuß' Monatsheft erlangte rasch großen Einfluß; so drangen die von ihm gesetzten Themen oft in die Tagespresse vor. Der Türmer steigerte seine Auflage von 3.000 im Jahr 1898 auf 17.500 im Jahr 1913 und wuchs dabei auf bis zu 180 Seiten pro Heft an. Dies belegt, daß seine Haltung im wilhelminischen Kaiserreich weite Kreise ansprach.
Nach 1918 wurde das Blatt zu einem erbitterten Gegner des Weimarer Parteiensystems. Bis zu seinem Tod 1920 verfocht Grotthuß nachdrücklich die revisionistische »Dolchstoßlegende«. Sein Nachfolger Friedrich Lienhard ließ zwar als preußenskeptischer Elsässer und regionalistischer Heimatkünstler wenig Nostalgie nach dem Kaiserreich aufkommen. Doch anders als der zuvor durchaus geistesverwandte Kunstwart verfocht Lienhards Türmer einen Kulturkonservatismus, der im Dienst des »deutschen Neuaufbaus« an Heimatkunst-Traditionen anknüpfte und sich auf die Grundlage von Irrationalismus, Blut-und-Boden-Mystik, Deutschchristentum und Rassenbiologie stellte.
Noch weiter ging diese Entwicklung ab 1929 unter Friedrich Castelle, der früh der NSDAP angehörte. In seiner Ägide vereinigte sich der Türmer ab Jahrgang 33 mit den Deutschen Monatsheften, wechselte zum rechtsradikalen Berliner Beenken-Verlag und führte auf seinen Titelseiten altdeutsche Monatsnamen ein. Die Machtergreifung Hitlers wurde im Türmer nicht überschwenglich gefeiert, aber sehr wohl begrüßt. Und bereits im Heft »März/Lenzing 1933« baute der NS-Publizist Johann von Leers unter dem Titel »Vulkan Polen« die Drohkulisse eines von Polen ausgehenden »Zweiten Weltkrieges« auf. Bis 1939 legte der Türmer die letzten Berührungsschwellen gegenüber der NS-Ideologie ab.1943 ging das Blatt in Westermanns Monatsheften auf.
Der Türmer steht als eine maßgebliche, wenn nicht gar als die Quelle schlechthin für einen prekären Traditionszusammenhang des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland: Er zeigt, wie der Kulturbegriff der Heimatkunst vor 1914 in den der Konservativen Revolution nach 1918 mündete und diese dann ab 1933 in die neuheidnischen Blut-und-Boden-Konzepte des Nationalsozialismus einfloß.