Fliegende Blätter
München, Bd. 1. 1845 (Nr. 1) – Bd. 160. 1924 (Nr. 4099),
Jg. 80. 1924 (Nr. 4100) – Jg. 100. 1944 (Nr. 5174)
Beilagen Bd. 52. 1870 – Bd. 70. 1879 (Nr. 9)
Beiblatt Bd. 70. 1879 (Nr. 10) – Bd. 158. 1923
zusammen 91.610 Seiten auf 974 Mikrofiches
1998, ISBN 3-89131-278-4
Diazo negativ: EUR 4.860,– (exkl. MwSt.) / EUR 5.783,40 (inkl. MwSt.)
Silber positiv: EUR 6.560,– (exkl. MwSt.) / EUR 7.806,40 (inkl. MwSt.)
Die Fliegenden Blätter, mit ihren Assoziationsmöglichkeiten zu »Flugblättern« und »verwehten« Papieren einst geradezu sprichwörtlich gewesen, haben in wenigstens drei Zusammenhängen Anspruch auf Rekorde. Erstens: Sie sind das älteste jener deutschen Satireblätter, die die Gleichberechtigung von Texten und Illustrationen zum Programm erhoben und konsequent durchführten. Zweitens: Sie sind das am längsten erschienene Exemplar dieser Gattung und einer der speziellen Langläufer der Zeitschriftengeschichte überhaupt. 1845 begonnen, drei Jahre vor dem für die Bildsatire-Publizistik so eminent bedeutsamen Jahr 1848, kamen sie ohne Unterbrechung hundert Jahre lang heraus, gingen erst 1944 in der Schlußkatastrophe des Zweiten Weltkriegs unter, wurden also noch älter als der Kladderadatsch, der es immerhin auf eine Laufzeit von 1848 bis ebenfalls 1944 brachte. Und drittens: Sie sind das wohl am reichhaltigsten und intensivsten mit Illustrationen ausgestattete deutsche Periodikum dieser Art, wenigstens für ihre Laufzeit im 19. Jahrhundert, fast auf jeder Seite findet sich ein Bild, oft auch mehrere.
Man hat die Fliegenden Blätter und verwandte Presseprodukte vorzugsweise unter dem Stichwort »humoristisch« eingeordnet. Es existiert jedoch weder eine allgemein verträgliche Definition dieses Begriffs, noch eine solche des Begriffs »satirisch«, und alle Versuche, die in dieser Richtung angestellt werden, blieben reichlich abstrakt. Wenn man aber das konkrete Material selbst heranzieht und beispielsweise versucht, die Fliegenden Blätter nicht nur von heute aus, sondern auch so, wie sie vermutlich von den Zeitgenossen gesehen wurden, zu betrachten, so sind mit Sicherheit weitaus mehr Texte und Zeichnungen in diesem Blatt in einem immerhin vertretbaren Sinn »satirisch«, sei es hinsichtlich der politischen, sei es hinsichtlich der gesellschaftlichen oder auch moralischen Vorstellungen der jeweiligen Zeit.
Die Fliegenden Blätter kamen in München heraus, sie begründeten den später vom Simplicissimus so erfolgreich behaupteten Rang dieser Stadt als Produktionsstätte unterhaltsam-satirischer Zeitschriften. Ihre Initiatoren waren der Buchhändler Caspar Braun und der Zeichner Friedrich Schneider, die seit 1843 gemeinsam den Verlag Braun & Schneider besaßen, ein auf dem Gebiete der humoristischen Literatur überaus erfolgreiches Unternehmen. Die einzelnen Nummern, zu je acht Seiten, erschienen etwa wöchentlich, viele Jahre lang undatiert, jeweils 26 wurden zu einem Band zusammengefaßt, wegen der enormen Laufzeit des Blattes sind daher die Einzelheiten seiner Produktionsgeschichte höchst imponierend: 200 Bände, über 5.000 Nummern, über 90.000 Seiten. Es versteht sich, daß die Zahl der Autoren der häufig hervorragend ironischen und sarkastischen Texte ebenso wie die der Zeichner der oft meisterhaft präzisen und griffigen Illustrationen jeweils in die Hunderte geht.
Hundert Jahre deutsche Geschichte: Die Fliegenden Blätter sind ohne jede Frage ein in seiner Art einzigartiges Dokument aus dem 19. und 20. Jahrhundert, das über Politik ebenso detaillierte Auskünfte bereithält wie über Kultur und Gesellschaft, das sich über bayerische, deutsche und europäische kleinere und größere Verhältnisse und Vorkommnisse gleichermaßen hingebungsvoll und elegant mokiert, sie bieten auf ihrem Gebiete ein unerschöpfliches Panoptikum und Kaleidoskop ihrer Zeit, zwischen Vormärzdemokratie und Nationalsozialismus, von Metternich über Wilhelm II. bis Hitler, kurzum: zwischen Aufbruch und Zusammenbruch. Sie gehören damit zu den vorzüglichsten Zentralstücken im Archiv der Deutschen.
Alfred Estermann