Pierers Enzyklopädisches Wörterbuch

Titelblatt: Pierers Enzyklopädisches Wörterbuch

Pierers Enzyklopädisches Wörterbuch
Gesamtedition der Auflagen 1824 – 1872

(Archiv der europäischen Lexikographie, Abt. 1: Enzyklopädien 6)

hg. von Otmar Seemann

Gesamtedition:
123.157 Seiten auf 798 Mikrofiches
1993, ISBN 3-89131-082-X

Diazo negativ: EUR 5.070,– (ohne Mwst.) / EUR 6.033,30 (inkl. Mwst.)
Silber negativ: EUR 6.084,– (ohne Mwst.) / EUR 7.239,96 (inkl. Mwst.)

Katalog der Einzelausgaben

Eines der größten und spektakulärsten Lexikonunternehmen des 19. Jahrhunderts war Pierers Enzyklopädisches Wörterbuch. Dieses Werk, das fast ein Jahrhundert im Mittelpunkt der enzyklopädischen Literatur stand, ist heute weitgehend vergessen. Wie kam es dazu?

Zedlers Enzyklopädie war bereits fast ein Jahrhundert alt und nie aktualisiert worden, von Ersch/Gruber waren 1820 gerade 5 Bände erschienen und die frühen Auflagen des Conversationslexikons von Brockhaus waren zwar erfolgreich auf dem Markt, konnten aber die Ansprüche einer Universalenzyklopädie bei weitem nicht erfüllen.

Ludwig Frdr. Th. Hain, ein Mitarbeiter des Brockhaus Verlages, erkannte diese Situation und plante, in eigener Regie ein Universalwörterbuch herauszugeben. Es waren 3-4 Bände vorgesehen, die in ca. 3 Jahren fertig sein sollten. Nach Streitigkeiten und gerichtlichen Auseinandersetzungen endete dieses Vorhaben für die Beteiligten jedoch im finanziellen Ruin.

Die Idee und die ersten Anfänge zum Universalwörterbuch landeteten schließlich bei H. A. Pierer in Altenburg. Pierer trieb das Vorhaben konsequent voran. Statt der geplanten 3-4 Bände, die in 3 Jahren erscheinen sollten, wurden es jedoch 26 Bände und 13 Jahre.

Pierers Verdienst und Pionierarbeit um die Lexikographie ist nicht hoch genug einzuschätzen. Er hat ein Werk vorgelegt, das sich durch sachlich präzisen Sprachstil, durch knappe und klare Aussagen und durch größtmögliche Objektivität auszeichnet. Pierer ist es gelungen, einen Mittelweg zwischen elitärem Gelehrtentum und seichter Konversation einzuschlagen; der Gebildete konnte mit diesem Werk sein allgemeines, der Gelehrte sein fachfremdes Informationsbedürfnis stillen. Die zeitgenössischen Kritiker haben sein Werk dementsprechend gewürdigt: »...das reichhaltigste Conversationslexicon, welches die Thatsachen mit einer Vollständigkeit, wie sie sich nur irgend erwarten läßt, und deßwegen für jeden ein äußerst brauchbares Handbuch zum Nachschlagen ist.« (Gustav Schwab und Karl Klüpfel)

In kurzen Zeitabständen ließ Pierer jeweils aktualisierte Neuauflagen folgen: 2. Auflage 1840 – 1846, 34 Bände;
3. Auflage 1849 – 1852, 17 Bände.

Pierer war stetig um die Aktualisierung und Erweiterung seines Werkes bemüht. Eine vollständige Revision kam in den ersten Jahrzehnten nach der Erstauflage aber noch nicht in Betracht. Um gleichwohl ein Höchstmaß an Aktualität zu bewahren, wurden 1841–1847 sechs Supplementbände, 1850–1854 weitere sechs Supplementbände, 1855 »Neueste Ergänzungen« und 1865–1873 drei Bände »Jahrbücher« herausgegeben. Ein Band mit 2.500 Abbildungen auf 67 lithographischen Tafeln, der 1848 erschien, sollte dem vermehrten Interesse an bildlichen Darstellungen gerecht werden. Bereits vier Jahre früher, 1844, war in Stuttgart ein »Erläuternder Atlas zum Universal-Lexikon von H. A. Pierer« mit 125 Stahlstichen erschienen, an dessen Herausgabe Pierer allerdings nicht beteiligt war.

Pierers Enzyklopädie war Mitte des 19. Jahrhunderts unbestritten das bedeutendste Werk seiner Art. Brockhaus hatte schon an den Aktivitäten seines Mitarbeiters Hain gesehen, daß hier ein Konkurrenzunternehmen im Entstehen begriffen war. Er hoffte vergeblich, daß es Pierer nicht gelingen würde, das Unternehmen zu Ende zu führen.

Ein weit größeres Problem als das Conversationslexicon von Brockhaus bildete für Pierer das 1840–1852 erschienen Große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände von Meyer. Wie unschwer zu erkennen ist, nahm Meyer sich Pierers Werk zum Vorbild. Pierer selbst sagte dazu: »... in der ganzen Anlage unserem Werk nachgebildet ... indem er unseren Plan, unser Register benutzte, ersparte er sich gerade den mühsamsten und schwierigsten Teil der Anlage.« (Vorwort zur 2. Auflage)

Nach dem Tod von H. A. Pierer im Jahre 1850 wurde Julius Löbe, der bereits seit der Herausgabe der ersten Auflage als Redakteur am Lexikon mitarbeitete, Hauptredakteur des Werkes. Mit weiteren Nachträgen und Ergänzungen konnten die Interessenten nicht mehr zufriedengestellt werden. Unter Löbes Leitung wurde das Lexikon stark revidiert und inhaltlich erweitert. Die vierte Auflage (1857–1865; 19 Bände) hat fast 300.000 Stichwörter. Sie ist damit das kompletteste und ausführlichste Pierersche Konversationslexikon und steht ihren beiden bedeutenden Zeitgenossen Meyer und Brockhaus in nichts nach.

Bereits 1867 wurde mit der »Fünften, durchgängig verbesserten Stereotyp-Auflage« begonnen, die bis 1873 abgeschlossen war.

Nachdem sich Pierers Wörterbuch über ein halbes Jahrhundert in ruhigen Bahnen entwickelt hatte, sollte das Finale voller Überraschung werden.

Die sechste Auflage (1875–1880; 18 Bände) erschien nicht mehr in der Pierer'schen Hofdruckerei in Altenburg und auch nicht mehr unter der Redaktion von Julius Löbe. Der Verlag A. Spaarmann, Oberhausen und Leipzig hatte das Lexikon übernommen. Bereits 1877 gingen die Rechte jedoch an das Literarische Institut Baruch in Köln, wo das Werk aktualisiert wurde. Ab dem sechsten Band sind bei den meisten Artikeln auch die Verfasser genannt. Genealogische Artikel und Beiträge über Gelehrte früherer Jahrhunderte wurden zugunsten technischer und naturwissenschaftlicher Artikel gekürzt.

1884 gingen die Rechte an Pierers Wörterbuch schließlich an seinen letzten Besitzer, an den Verlag J. W. Spemann in Stuttgart. Bei Spemann hatte Joseph Kürschner gerade sein Taschen-Konversations-Lexikon herausgegeben und so bot sich hier eine einmalige und scheinbar hervorragende Konstellation: eine große und bekannte Enzyklopädie, ein risikofreudiger und mutiger Verleger und ein talentierter und fleißiger Redakteur. In dieser Verbindung sollte das Pierer-Lexikon zu einem neuen Höhepunkt gebracht werden.

Das neue Werk (1888–1893; 12 Bände) wurde gänzlich umgearbeitet und zwei neue Lexikonteile integriert, womit Kürschner ein Universal-Sprachen-Lexikon schuf. Erstens wurde im eigentlichen Lexikonteil unter den meisten Wörtern ihre Übersetzung in 12 Sprachen (böhmisch, dänisch, englisch, französisch, griechisch, holländisch, italienisch, lateinisch, russisch, schwedisch, spanisch, ungarisch) angeführt. Zweitens läuft ein aus zwölf Sprachen amalgamiertes fremdsprachig-deutsches Wörterbuch in einer eigenen Spalte parallel zum Hauptteil des Lexikons mit. Kürschner glaubte, dadurch nicht nur zwölf Wörterbücher, sondern eine ganze Bibliothek ersetzen zu können. Durch die Verwendung mehrerer Schriftarten wurde das Werk typographisch interessant und übersichtlich gestaltet.

Bereits am Anfang des Jahres 1895 wurde die siebte Auflage aus dem Handel genommen und 1896 zu ermäßigtem Preis verschleudert. Dem Verlag Spemann war es nicht gelungen, dieses neuartige, seinem Inhalt und Aufbau nach einmalige Werk auf dem Büchermarkt durchzusetzen. Teure Verlagsrechte, ein überdurchschnittliches Honorar an Kürschner (50.000,- Mark) und aufwendige Satz- und Druckkosten bedeuteten das Ende eines einzigartigen Unternehmens in der Geschichte der deutschen Lexikographie.