Suizid-Bibliothek

»Der Selbstmord ist ein Ereignis der menschlichen Natur, welches, mag auch darüber schon so viel gesprochen und gehandelt sein, als da will, doch einen jeden Menschen zur Teilnahme fordert, in jeder Zeitepoche wieder einmal verhandelt werden muß.«
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 13. Buch
Schierlingsbecher

1.098 Werke aus den Jahren 1578 bis 1945 mit 98.369 Seiten
incl. MAB- bzw. MARC-Daten

Mikrofiche Edition

1.625 Mikrofiches, 2005, ISBN 3-89131-463-9
Diazo negativ: EUR 6.500,– (exkl. Mwst.) / EUR 7.735,– (inkl. Mwst.)
Silber negativ: EUR 7.800,– (exkl. Mwst.) / EUR 9.282,– (inkl. Mwst.)
Katalog

Widerstand gegen die eigene Rettung

Der Selbstmörderwettbewerb

Das Selbstmörderdenkmal

Der Suizid

Über Jahrhunderte hinweg war der Suizid vor allem ein Gegenstand der Ethik und Religion. Im Mittelpunkt aller Überlegungen zur Selbsttötung steht bis heute immer wieder die Frage nach ihrem Recht oder Unrecht. Entsprechend der unterschiedlichen moralischen Beurteilung der Tat wird sie häufig entweder als Freitod oder als Selbstmord bezeichnet.

Mit der Ausbildung und Differenzierung der sozial- und humanwissenschaftlichen Disziplinen hat die Suizidforschung Einzug in die Wissenschaften gehalten. Neben die seit der Antike im Mittelpunkt stehenden theologischen und philosophischen Fragen zur Selbsttötung sind vor allem im 19. Jahrhundert psychologische und medizinische Aspekte getreten. Den Geisteskrankheiten, psychischen Störungen und anatomischen wie pathologischen Beobachtungen galt ein besonderes Interesse. In vielen Fällen fanden moralische Vorurteile hier eine scheinbar »wissenschaftliche« Bestätigung.

Waren die Ergebnisse der empirischen Forschung damals recht mager, so hat sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Statistik ein sehr differenziertes Bild von der Häufigkeit und Verteilung der Suizidfälle erbracht. Bis heute sind es in erster Linie quantitative Erhebungen, die immer wieder neue Erkenntnisse zur Selbsttötung liefern. Der Einfluß natürlicher Umstände wie Wetter, Temperatur oder Jahreszeiten wurde ebenso untersucht wie die Suizidhäufigkeit in einzelnen Ländern, an bestimmten Orten oder in bestimmten Bevölkerungsgruppen. So ist die Suizidgefahr bei Schülern höher als bei Jugendlichen, die sich bereits in der Berufsausbildung befinden. Die meisten Selbsttötungen erfolgen im Frühjahr und im Herbst und überwiegend montags. Im Gegensatz zur verbreiteten Annahme spielt die soziale Schicht dabei keine Rolle. Genaue Zahlen über Suizide gibt es bis heute leider nicht. Experten schätzen die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher, als in den Statistiken aufgeführt ist. Gründe dafür liegen darin, daß Angehörige den Suizid aus Angst vor Schuldzuweisungen durch die Gesellschaft als Unfall oder Unglück hinstellen.

Während in der christlichen Kultur der Suizid fast ausnahmslos verboten ist – das Leben als Geschenk Gottes und seine daraus resultierende Heiligkeit erlauben nicht, daß der Mensch es zerstört, – ist die Selbsttötung etwa zur Rettung der Ehre – der eigenen, derjenigen der Familie oder des ganzen Volkes – in fernöstlichen und arabischen Kulturkreisen ein verbreitetes und gesellschaftlich akzeptiertes Motiv. Daß hierbei die Technik der Selbsttötung nicht unerheblich ist, zeigen die Rituale des Seppuku, Kamikaze und Harakiri, die aus Japan überliefert sind. Aber selbst für einen deutschen Offizier im 19. Jahrhundert wäre es nicht standesgemäß gewesen, durch Erhängen aus dem Leben zu scheiden. Ein Offizier würde sich selbstverständlich erschießen.

Auch in der Literatur und Malerei ist die Selbsttötung ein bekannter Topos. Am häufigsten ist in der bildenden Kunst Lukretia dargestellt worden, jene Römerin, die sich das Leben nahm, weil sie von einem Verwandten vergewaltigt wurde. Nicht weniger bekannt ist der Tod von Kleopatra durch den Schlangenbiß nach ihrer politischen und persönlichen Niederlage. Neben diesen bedeutenden Beispielen aus der Antike ist »Die Leiden des jungen Werther« der bekannteste literarische Fall in neuerer Zeit. Dante hat den Selbstmördern in der »Divina Commedia« ein eigenes Kapitel gewidmet und damit eine Reihe von Illustrationen angeregt.

Die Suizid-Bibliothek

Die profundeste Bibliographie zum Suizid stammt von Hans Rost aus dem Jahr 1927. Die »Bibliographie des Selbstmords« nennt über 3.700 in- und ausländische Quellen, darunter eine Vielzahl von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Rost hatte Kontakt zu Bibliographen und Wissenschaftlern in aller Welt unterhalten und so nicht nur Literaturhinweise erhalten, sondern auch eine reiche Sammlung an Originalwerken aufgebaut. Er hat die Suizid-Literatur in 60 Gruppen eingeteilt. So findet sich hier über die bereits genannten Gruppen hinaus z. B. Literatur zur Technik der Selbsttötung, zu Doppel-, Familien- und Massenselbstmord, zur Bestrafung von Selbstmördern und zum Selbstmord bei Soldaten und Tieren. Allein zum Thema »Euthanasie« nennt die Bibliographie 100 Werke. Rosts Bibliographie ist ein faszinierendes Lesebuch, das auf ungeahnte Aspekte der Selbsttötung hinweist.

Von Hans Rost selbst stammen 25 Beiträge in dieser Edition. In einem der Artikel äußert er sich ausführlich über die Entstehung seiner Sammlung. Am Anfang seines Interesses hatte ein gescheiterter Promotionsversuch am Staatswissenschaftlichen Institut der Universität München mit einer statistischen Arbeit über den Suizid gestanden. Die Bibliographie Max von Boehns und später dann der Ankauf von dessen Bibliothek bildeten den Grundstock für Rosts Bibliographie und Sammlung.

Etwa 1.000 der in seiner Bibliographie genannten Werke hat Rost selbst besessen. Seine Bibliothek ist erhalten geblieben. Er hat sie testamentarisch der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg vermacht, wo sie gesondert aufgestellt ist und bis heute fortgeführt wird. Ein Blick in die verschiedenen Bibliothekskataloge zeigt, daß der größte Teil der Rostschen Sammlung äußerst selten ist und vor allem die fremdsprachigen Werke nur in Augsburg nachgewiesen sind. Zwei Drittel der Werke sind in deutsch, 15 Prozent in englisch und 10 Prozent in französisch verfaßt. 12 Prozent sind vor 1800, 38 Prozent im 19. Jahrhundert und 50 Prozent bis 1945 erschienen. Rosts Sammlung gilt bis heute als die beste Bibliothek über den Suizid in Deutschland.